Odin und der Weltenbaum "Yggdrasil"
In Skandinavien erzählt der Schöpfungsmythos rund um Gott Odin wie die Welten entstanden: in seinem Durst nach Erfahrung und Weisheit "erhängt" sich Odin für 9 Tage am Weltenbaum. Die Zahl 9 entspricht dabei den 9 Schöpfungsebenen des germanischen Weltbildes, die bei dieser "Opferung" entstehen. So stürzt er sich also, ohne Wasser und Brot heisst es, hinunter in die Unbewusstheit, und blickt tief in die Abgünde der Existenz - bis hinunter zur Erde (Q,Q,Q).Der Tod am Baum symbolisiert das göttliche Bewusstsein das sich selbst aufgibt um Mensch zu werden. Wenn sich Odin am Baum herunterlässt, müsste man genau genommen den Baum wieder umgedreht darstellen, was natürlich schlecht umzusetzen ist. Ich mag deshalb das Bild links, wo die Verästelung richtigerweise nach unten zunimmt. "Yggdrasil" übersetzen Sprachforscher als "Odins Pferd", und das ist insofern passend als der Baum das "Vehikel" ist, wodurch Bewusstsein sich durch die Existenz "bewegt". Odin geht in diesem Weltenbaum auf - er, die Welten und der Baum sind eins: "die Welt reicht nur so weit wie seine Zweige und Wurzeln reichen, und die Schöpfung besteht nur so lange, wie er besteht." (Q)
Odin, einäugig |
Dazu braucht man sich nur anschauen was "Mimir" heisst: es leitet sich ab von "messen, erinnern, grübeln, reflektieren" (Q) - die Funktionen unseres menschlichen Verstandes, von denen ich ja auch in Zusammenhang mit J. Krishnamurti oft geschrieben habe. Im Hinduismus steht der messende (beurteilende) Verstand im Zusammenhang mit "Maya", unserer illusionären Wahrnehmung, denn auch Maya lässt sich mit "messen" übersetzen, siehe hier und mein Artikel).
So wie bei Odin 9 Tage symbolisch für 9 Schöfpungsebenen stehen, so korrelieren 7 Wochentage mit 7 Schritten der Schöpfung in der Genesis, aber auch mit 7 Schöpfungsebenen die im frühchristlichen Buch Henoch erwähnt werden, die es aber genauso im jüdischen Talmud gibt (7 Shamayim), im Hinduismus (7 Lokas) als auch im Islam (7 samaawat) (Q). Auf die genaue Zahl kommt es aber wie gesagt nicht an. Rechts unten ist eine christliche Schöpfungshierarchie aus 9 "Engels-Ebenen" + materielle Ebene wie sie etwa bei Thomas von Aquin oder Hildegard von Bingen erwähnt wurde, wobei Cherubim und Seraphim die höchsten Ebenen sind. Das Bild entspricht einem umgedrehten Weltenbaum.
7 Himmel (islamische Darstellung) |
Engelshierarchie aus 9 Ebenen |
Neben den offensichtlichen Parallelen zu Jesus sind die Mythen um Odin für ihre schamanistischen Züge bekannt, dazu aber in einem anderen Teil. Jetzt ein paar Tausend Kilometer weiter nach Japan:
Der Weltenbaum in der japanischen Shinto-Religion
In der einheimischen japanischen Religion ist der Sakaki-Baum "das Vehikel, in das das Kami (das höchste Sein) herabsteigt" (Q).Die bedeutendste Gottheit in Japan ist Amaterasu, die Sonnengöttin (das göttliche Licht). Der Schöpfungsmythos erzählt, dass sie aus dem linken Auge des Vaters geboren war, und ihr Bruder, der Mondgott (Dunkelheit), aus dem rechten Auge. Wie bei Odin werden hier die Augen als duales Symbol verwendet! Doch da Amaterasu sich zunächst in einer Höhle versteckt, müssen die anderen Götter eine List anwenden!
Sie stellen den heiligen Baum vom himmlischen Berg Kaga vor die Höhle, und hängen an ihn den heiligen Spiegel "Yata no Kagami". Jetzt feierten sie wild und ausschweifend, um ihr zu zeigen, was es hier alles zu erleben gibt, und sie rufen: hier draussen ist eine Göttin die noch viel schöner ist als du! Als Amaterasu neugierig aus der Höhle schaut, ist sie bezaubert von der Schönheit die sie erblickt (die sie selbst ist), und so kam das Licht in unsere Welt (Q)(Q).
Die Kombination aus Baum und Spiegel zeigt, dass erst durch die Aufspaltung im Seelen-Stammbaum Selbsterkenntnis möglich ist. Es braucht ein Ich und ein Nicht-Ich, ein Innen und Aussen. Ohne den Baum und den Spiegel - laut Mythos der erste den es je gab - gibt es keine Selbstreflektion.
Gott erkennt sich selbst im Weltenbaum |
Auch im Shinto wird die Schöpfung in 7 Ebenen (7 Generation von Gottheiten) eingeteilt (Q). Aus dem Mythos ergab sich der japanische Brauch, kleine Spiegel in Bäume zu hängen, und der heilige Spiegel zählt zu den 3 Throninsignien Japans. Gemäß den uralten, tief im Volk verankerten Mythen sagen die Japaner, dass sie von Amaterasu abstammen (Q), und im Sinne einer Ahnengottheit des Kaiserhauses wurde das sogar Bestandteil der japanischen Verfassung. Nach der Niederlage im 2. Weltkrieg musste Kaiser Hirohito auf Druck der alliierten Siegermächte, die ihn weiter schwächen wollten, in einer Erklärung eine solche göttliche Abstammung verleugnen (Q).
Ägypten - Osiris und der Weltenbaum "Ished"
In alten ägyptischen Texten heisst es über den Weltenbaum: "Ich bin die Pflanze die aus dem Nu kommt" (Q). "Nu" ist das tiefste Mysterium: der unergründliche Ursprung von allem was existiert (Q). Und es heisst: "Für die alten Ägypter repräsentiert der Baum des Lebens die hierarchische Kette von Vorgängen durch die jede Existenz hervorbracht wurde. Die Sphären des Baumes demonstrieren die Abfolge, den Prozess und die Methode der Schöpfung" (Q). Und diese Quelle meint, dass die ägyptischen Hauptgottheiten verschiedenen Ebenen bzw. Prinzipien im Schöpfungsbaum zugeordnet werden können, was ja in praktisch allen Religionen der Fall ist.
Der wahrscheinlich berühmteste ägyptische Schöpfungsmythos dreht sich um Osiris. Und wieder haben wir einen Gott der sich "opfert", um die Welt entstehen zu lassen: Osiris wird durch eine hinterhältige List in einen Sarg gesperrt, in den Nil geworfen und hinuntergespült bis ins Meer. Der Sarg wird irgendwo angeschwemmt und völlig eingeschlossen in einem drumherum wachsenden gigantischen Baum. Osiris befindet sich jetzt im Baumstamm wie ein Pfeiler inmitten des Königreiches, ein Konzept das sich "Weltenachse" nennt, oder "axis mundi". Doch der "Mörder" (Seth) ist noch nicht fertig: um sein Werk zu vollenden zerstückelt er jetzt Osiris in unzählige Teile und verstreut diese in der ganzen Welt (Q).
Aus dem "toten" Osiris wächst der Weltenbaum (Q) |
Aus Einheit entsteht Vielfalt
Es ist eine weiterere wunderbare Variante der Geschichte, in der das ultimative Bewusstsein sich aufspaltet und so die Vielfalt der Welten hervorbringt. Man kann die Entstehung der Seelen wohl kaum direkter beschreiben als durch die "Zerstückelung Gottes". Der Baum mit seinen Gabelungen ist der Schlüssel dazu, wie man sich diesen Prozess der "Zerstückelung" vorstellen kann. Osiris verkörpert diesen "Seelen-Stammbaum", und in Inschriften wird er "Der Eine im Baum" genannt (Q). Wenn man in der Mythologie noch weiter zurückgeht findet man aber auch eine Urgottheit "Iusaaset", die "Großmutter aller Gottheiten", der der Lebensbaum "gehört" (Q,Q).
Bei der Mumifizierung der Toten spielten die Ägypter diesen Mythos nach, damit der Betroffene zurückkehrt in die Geborgenheit im Lebensbaum, einbandagiert wie Osiris in der Baumrinde (Q)(Q). Für Osiris im Baum - die "Weltenachse" - hatten die Ägypter ein eigenes Symbol namens "djed-Pfeiler", siehe Bild unten. Er stellt symbolisch Osiris' Rückgrat dar, in der alle Welten, von der höchsten bis zur niedrigsten, verbunden sind, und ist eines der heiligsten Symbole der Ägypter (Q,Q). Womöglich stellt jedes färbige Segment eine Schöpfungsebene dar. Das "Aufrichten des djed-Pfeilers" wurde als eine bedeutende Zeremonie gefeiert, und kann als Symbol des Schöpfungsaktes gesehen werden.
Der ägyptische Baumfetisch ist umso beachtlicher da es in Ägypten eigentlich kaum Bäume gab. Passend dazu wurde die Seele als Vogel ("Ba") dargestellt, der nach dem Tod zurückkehrt in den Baum um sich von ihm zu nähren (Q), eine Idee die wir in unterschiedlichen Varianten schon kennen.
Hier eine weitere Darstellung: Osiris, Baum, und die Schöpfung sind eins. Das göttliche Bewusstsein scheint wie im Dornröschenschlaf - aber das sieht nur aus unserer menschlichen Perspektive der Fragmentierung so aus. Es liegt an jedem, das "schlafende" Unbewusste in sich wieder zu erwecken.
Gott ist nur aus unserer Sicht tot |
Emanation - das Ausfliessen des Weltenbaumes
das Nil-Delta sieht aus wie ein Baum in der Wüste |
Wenn Osiris in den Nil geworfen, Richtung Meer gespült und zerstückelt wird, dann ist das genau das was das Nil-Delta darstellt! Es ist aber wie immer Symbol für das göttliche Bewusstsein, das sich aufspaltet während es sich in tiefere Ebenen begibt.
Zerhackte Götter? Auch bei Odin, in Japan, bei den Maya ...
Da der Ausgangspunkt immer die göttliche Einheit ist, ist Schöpfung gleichbedeutend mit Teilung. Im Shinto entstehen z.B. neue Gottheiten, als Vatergott Izanagi den Feuergott in Stücke schlägt (Q). Dionysos wird von den Titanen zerstückelt. Auch in der nordischen Mythologie entstand die Schöpfung dadurch, dass Odin das ursprüngliche Sein ("Ymir") zerhackte (Q), wobei Forscher auf die Verwandtschaft mit dem Opfer des uranfänglichen Seins Purusha im Hinduismus hinweisen. Mehr noch, sie identifizieren die "göttliche Zerteilung" als zentrales Element der proto-indogermanischen Schöpfungsmythen (Q,Q). In der persischen Mythologie ist es "Gayomart" der getötet wird, und, zur Erde fallend, entsteht aus dem Samen alles irdische (Q). Zerstückelt wird auch im Schöpfungsmythos der Maya, die dafür berüchtigt sind, dass sie ihn gerne mit mehr oder weniger freiwilligen Teilnehmern nachspielten, das kommt aber erst im 8. Teil... All das ist gleichbedeutend mit den Gabelungen des Weltenbaumes.
Und als Abschluss des Teils:
Und als Abschluss des Teils:
Den archetypischen Kampf zwischen Gut und Böse
sieht man in dieser ägyptischen Darstellung. Das Böse, das in der Fragmentierung des Weltenbaumes entsteht, wird hier durch Gott Ra in einer "inkarnierter" Form als Katze Mau bekämpft.
Ähnlich wie bei Osiris gibt es noch in vielen anderen Kulturen Beispiele für den "Weltenbaum aus Wasser". Darum und um den Nektar der Götter geht es im nächsten Teil!
Ähnlich wie bei Osiris gibt es noch in vielen anderen Kulturen Beispiele für den "Weltenbaum aus Wasser". Darum und um den Nektar der Götter geht es im nächsten Teil!