Mittwoch, 13. Juni 2018

"Ich weiss es nicht" - ein magischer Satz

"Ich weiss es nicht" - es ist wohl einer der häufigsten Gedanken in unserer heutigen Welt, in der sich alles um Wissen und Informationen dreht. Interessanterweise hat der Satz eine ganz besondere spirituelle Bedeutung. Und noch interessanter, dass die Meinungen verschiedener spiritueller Lehrer diesbezüglich völlig entgegengesetzt sind.


Wenn Geoffrey Hoppe bei seinen monatlichen Treffen einem spontan gewählten "Freiwilligen" im Publikum eine Frage zum spirituellen Thema des Abends stellt, dann gibt es nur eine große Regel: die Worte "Ich weiss es nicht" sind verboten. Als Strafe droht die Verbannung auf die Toilette für einige Minuten. Und es ist für alle Anwesenden immer sehr amüsant, wie oft demjenigen, der auf einmal das Mikrofon vor dem Gesicht hat, dann doch diese Worte entkommen, obwohl die Regel bekannt ist. Mancher kann sich nach einem "Ich w..." gerade noch stoppen. Es ist ein Satz der uns wie automatisch in den Sinn kommt, denn wir sind es nicht gewohnt, überhaupt in uns nach einer Antwort zu schauen. Natürlich sind das keine Fragen nach dem Bruttoinlandsprodukt Guatemalas oder der Höhe der Zugspitze, sondern ganz persönliche Themen. Es geht nicht um auswendig gelerntes Wissen, sondern um Selbstbeobachtung. Und wenn wir die Antwort nicht wissen, wer dann? Wenn wir sagen "Ich weiss es nicht", noch bevor wir überhaupt in uns gehen, dann ist es ein Sich-versperren.

Eine ganz andere Sicht auf den Satz "Ich weiss es nicht" hat der große Mystiker Jiddu Krishnamurti. Für ihn ist es der Eintrittspunkt für einen geradezu meditativen Zustand:
Wenn eine Frage gestellt wird und das Denken findet keine Antwort und du sagst "Ich weiss es wirklich nicht", in diesem Zustand ist keine Erwartung, kein Warten auf eine Antwort, denn da ist niemand, der dir die Antwort geben wird. Du weisst zum Beispiel nichts über den Tod, nicht wahr? Wenn du wirklich ehrlich bist und keine Theorien erfinden willst, sagst du "Ich weiss es nicht". Was ist das für ein Zustand des Geistes der sagt "Ich weiss es nicht"? Ist da Denken? Dein Gehirn ist mit etwas konfrontiert das es unmöglich beantworten kann, die Gehirnzellen werden ruhig, denn da ist keine Reaktion. - Saanen, 06 August 1965
"Ich weiss es nicht" ist hier nicht ein Satz, der eine lästige Unterhaltung beenden soll. Im Gegenteil, es ist Ausdruck einer inneren Haltung der Offenheit, die den Startpunkt einer Erforschung darstellt. Die Akzeptanz der Tatsache, dass in der Lagerhalle des Gedächtnisses keine Antwort zu finden ist, öffnet hier die "mystische" Intelligenz der Gedankenstille. Dies erinnert an die chinesischen "Koans" der Zenmeister ("Wie klingt das Klatschen einer Hand?" etc..) die der Verstand unmöglich beanworten kann, und die so einen Zustand der geistigen Klarheit herbeiführen sollen. Zweifellos ist das auch das Geheimnis der Weisheit des Sokrates ("Ich weiss, dass ich nichts weiss"). Dieses Thema spricht auch Eckhart Tolle an, der bemerkte, dass der Dalai Lama auffällig oft auf Fragen mit "Ich weiss es nicht" antwortet... doch aus diesem leeren, offenen Zustand des "Ich weiss es nicht" entspringen dann plötzlich interessante Anworten, die scheinbar aus einem anderen Ort kommen als dem Verstand.

Es ist ein faszinierendes Paradoxon zwischen den Sichtweisen von Geoffrey Hoppe und Jiddu Krishnamurti, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Diesen Widerspruch fand ich immer interessant. Doch ist es wirklich ein Widerspruch? Wohl nicht! Denn esommt darauf an, ob es ein resignierendes "Ich weiss es nicht" ist, das einen auf der mentalen Ebene verbleiben lässt, oder ein sich öffnendes "Ich weiss es nicht", das über die mentale Ebene hinausführt.