Samstag, 9. März 2019

Mehr als nur Sklaverei - die geheime Metapher von Herr und Knecht im Christentum

niemandes Knecht: eine Katze
Es ist ein verhängnisvolles Verhältnis: Sklaverei und Christentum. Das alte Testament spricht zum Teil völlig unkritisch von Sklaverei. Kritiker behaupten, die ganze Bibel sei voll davon. Theologen  wiederum behaupten, Sklaverei hätte keine Bedeutung für ein metaphysiches Weltbild. Beides ist falsch. Hat "Sklaverei" eine wichtige Bedeutung? Allerdings, aber eine metaphorische! Anhand von Thomas von Aquins Hauptwerk "Summe der Theologie" zeige ich die wichtigsten Beispiele für das Gleichnis von Herr und Knecht, von den einfachsten bis zur tiefsten Mystik.
Beginnen wir mit den einfachsten Beispielen: zum einen ist jeder Mensch "Sklave", nämlich der "gefallene" Mensch im Gegensatz zum "paradiesischen".
„Soweit im freien Akte der Wille sich von der [göttlichen] Kraft entfernt, soweit er also fällt, soweit verliert er auch den Charakter des Freien und wird Sklave.“
So schreibt Thomas von Aquin (kurz Thomas) von unserer „unversehrten Natur, da sie noch nicht Sklave der Sünde war“. Christen meinen, nur durch die Gnade Gottes könne sich dieser Zustand ändern, und die Bibel verwendet dieses Gleichnis in diesem Sinne (Psalm 122):
„Wie die Augen der Knechte auf die Hände ihrer Herren gerichtet sind, so schauen unsere Augen auf den Herrn unseren Gott, daß Er Sich unsrer erbarme;“
Diese "Knechtschaft" besteht nicht zuletzt in der Abhängigkeit von der materiellen Stofflichkeit. Der Mensch sei paradiesisch gewesen, "weil er den Stoff wohl in seiner Natur hatte, aber dessen Herr war, und nicht dessen Sklave". Doch jetzt sei der Mensch Sklave der Natur.
Dies führt zur wichtigen Metapher von Herr und Sklave als Sinnbild für das Verhältnis von Seele und Körper. Darauf verwies schon Aristoteles, den Thomas mit den Worten zitiert: "Der Körper steht zur Seele im selben Verhältnisse wie der Sklave zum Herrn." Ich möchte meine Hand heben, und die Hand hebt sich. Thomas schreibt:
„Die Glieder des Körpers sind keine Principien von Thätigkeiten, sondern nur Werkzeuge dafür; sie stehen deshalb zur bewegenden Seele im Verhältnisse eines Sklaven, der nur bestimmt wird, der aber nichts selbständig wirkt oder bestimmt.“
Doch halt, so einfach ist das nicht, wie das von Thomas angeführte Zitat des römischen Philosophen Seneca zeigt:
„Zu groß bin ich und zu allzu großen Dingen bin ich geboren, als daß ich Sklave meines Körpers werde, den ich nicht anders ansehe wie eine Kette, welche meiner Freiheit angelegt ist.“
Auch die Gnostiker des Frühchristentums betrachteten den Körper als ein Gefängnis, das uns in dieser gottverlassenen Welt festhält. Es zeigt sich ein Dilemma: sind wir nun Sklaven des Körpers, wie Seneca meint, oder ist der Körper Sklave unseres Geistes, wie Aristoteles meint? Die Mönche wollten natürlich letzteres erreichen, nämlich Herrn über den Körper zu sein, weshalb Thomas schreibt:
„Es sei erforderlich, daß `der Mensch seinen Körper züchtige und zum Sklaven mache´ vermittelst des Enthaltens von Speise und Trank und dergleichen."
Das Fasten sollte wohl die Herrschaft über den Körper festigen. Und: "So sagt auch Paulus (1. Kor 6.): `Ich züchtige meinen Leib und mache ihn zum Sklaven;'“, woraufhin Mönche sich oft selbst geisselten. So artet eine eigentlich nachvollziehbare philosophische Überlegung, nämlich ob Geist über Materie herrscht oder umgekehrt, plötzlich zu abartigen Verhaltensweisen aus. Dumm wie die Menschen sind, bietet selbst die Formulierung im übertragenen Sinn noch viel Anlass für Probleme.

Seele und Ego als Herr und Knecht

Doch jetzt geht es richtig los, denn die Metapher bezieht sich nicht nur auf Geist und Körper, sondern auch auf Konflikte innerhalb des Geistes. Thomas erwähnt deshalb nach Aristoteles beide Arten von "Untergebenen":
"Aristoteles unterscheidet mit Rücksicht auf die vernünftige Seele eine sklavische Herrschaft und eine bürgerliche. Sie befiehlt dem Körper wie einem Sklaven. Die Vernunft aber leitet das Begehren wie ein König seine freien Unterthanen. ... Die Abwehr- und Begehrkraft haben etwas Besonderes in sich, Kraft dessen sie widerstehen können."
Das Ego hat die Kraft und Fähigkeit, sich von der Seele abzuwenden. Die Seele - der Herr und Meister - führt das Ego an einer langen Leine, sogar so lange, dass wir die Seele aus den Augen verloren haben. Mehr noch, das Ego gewinnt Überhand und macht sich selbst zum Herrn:
„Es beweist Augustinus, daß ›durch nichts Anderes die menschliche Vernunft Sklavin der Begierde wird wie durch sich selbst, das heißt durch den eigenen Willen.‹“
Plötzlich offenbart sich: wir alle sind zugleich Herr und Untergebener, unterwerfen uns eigentlich selbst. Wir sprechen von verschiedenen Ebenen des Bewusstseins, die nicht in Einklang sind. Denn wären Körper, Geist und Seele im Einklang, es bräuchte nicht all die Metaphern von Herr und Sklave. Das Ego hat die Herrschaft im Haus der Psyche übernommen, obwohl es eigentlich nur Knecht sein sollte, die Seele hat das Haus verlassen. Hohe Bewusstheit ist nötig, um ihre Stimme zu vernehmen. Das ist das Gleichnis, mit dem Jesus die Seele beschreibt (Markus 13,33):
"Es ist wie mit einem Mann, der sein Haus verließ, um auf Reisen zu gehen: Er übertrug die Vollmacht seinen Knechten, jedem eine bestimmte Aufgabe ... Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt, ob am Abend oder um Mitternacht, ob beim Hahnenschrei oder erst am Morgen. Sorgt dafür, dass er euch nicht im Schlaf überrascht. Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam!"
Herr und Knecht beschreiben in Wahrheit Relationen innerhalb der Psyche. Warum ist dies so wichtig? Die ganze Spiritualität besteht aus solchen Relationen.

Die Illusion psychologischer Relationen

Relationen sind eine interessante Sache: Sie existieren nicht wirklich, sondern entstehen nur durch einen Vergleich. Kein Mensch ist an und für sich Knecht, sondern nur dadurch, dass da ein Herr ist. Kein Mensch ist an und für sich Herr, sondern nur dadurch, dass da ein Knecht ist. Genauso ist kein Mensch an und für sich Vater, es sei denn da ist ein Sohn, und umgekehrt. Es gibt auch keinen Gedanken ohne den Denker, und es gibt gar keinen Denker ohne den Gedanken. Das Denken erschafft den Denker! Das Ego ist Illusion, und es löst sich augenblicklich auf, sobald nicht gedacht wird.

Anhand von Relationen spielt das Bewusstseins Tricks mit sich selbst. Daher der Aufruf des Mystikers Krishnamurti, wir sollen uns nicht mit anderen vergleichen, denn nur dadurch entsteht das Ego. Der Mensch, der die Illusion der Relation durchschaut, kann auch nicht mehr "Sklave" sein. An der Wurzel der "Vertreibung aus dem Paradies" steht das selbstreflektierende Denken. Das faszinierende ist, dass dies auch anhand des höchsten "Herrn" verdeutlicht wurde. Denn das Konzept der Dreifaltigkeit ist eine Beschreibung dieser geistigen Relationen, die ein Bewusstsein mit sich selbst eingeht - Vater und Sohn sind eins. Mystiker bezeichneten folglich die ganze Welt als einen Traum im Geist Gottes, eine Illusion aus der Relation Schöpfer-Schöpfung.

Wird die Metapher von Herr und Knecht wörtlich verstanden (was leider oft geschieht), und wird die Metapher von Vater und Sohn rein biologisch verstanden (was leider auch geschieht) sind Probleme vorprogrammiert. Wir sehen, wie schnell man bei dieser Thematik von leicht verständlichen Aussagen zu Themen gelangt, die wohl nur die größten Mystiker in voller Tiefe verstanden.