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Dienstag, 28. Juni 2016

Der Weltenbaum Teil 9: Daosimus, Islam, Göttersturz

Der Weltenbaum im Daoismus

Eine der faszinierendsten Abbildungen des Weltenbaum-Konzeptes ist diese unten aus dem daoistischen Mystizismus, gerade weil es kein Baum ist, sondern weil es unmissverständlich um Bewusstsein geht. Die Abbildung stammt aus "Das Geheimnis der goldenen Blume", einem daoistischen Klassiker aus dem 17. Jahrhundert. 
Bewusstsein als fraktale Struktur - eine daoistische Variante des Weltenbaumes
Bewusstsein als fraktale Struktur - eine daoistische Variante des Weltenbaumes (Q)

Jemand kommentiert ganz richtig:
Allegorisch können wir uns die große Figur unten als "Gott" vorstellen, der seine Gedanken projeziert und manifestiert. Nach der westlichen Konzeption könnte man diese abgebildeten dreissig fraktalen Emanationen "Gottes" als 5 Erzengel betrachten, die weitere 25 Engel projezieren. (Q)

Wie oft sich dieser Prozess bis zum Menschen wiederholt hat kann niemand sagen. Aber sogar im einzelnen Menschen setzt sich der Prozess auf subtile Weise fort, weil alle Gedanken in gewisser Weise "Eigenleben" haben. Und so soll ein erleuchteter Meister fähig sein - das zeigt das Bild nämlich - Bewusstseinsformen hervorzubringen, die stark genug sind um "selbständig" zu werden, vielleicht sogar für andere sichtbar zu werden. Dieses angebliche Phänomen ist unter der Bezeichnung "Tulpa" bekannt. In den Worten von Jesus wäre das also ein Bewusstseinszustand, in dem der Mensch selbst wiederum "Frucht bringen kann" anstatt zu "verdorren".

Es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sich die selben Prinzipien von ganz oben nach ganz unten immer wiederholen.

Auf sehr einfache Weise ist das Prinzip im Daodejing beschrieben:
Aus dem Dao entsteht das Eine
Aus dem Einen entsteht das Zweifache
Aus dem Zweifachen entsteht das Dreifache
Aus dem Dreifachen entstehen die unzähligen Dinge.
Im "Geheimnis der goldenen Blume" findet sich noch diese sehr relevante Passage:
Meister Lu Tzu sagt: Im Vergleich zu Himmel und Erde ist der Mensch wie eine Eintagsfliege. Aber im Vergleich zum großen Dao (dem Einen) sind auch Himmel und Erde wie eine Blase und ein Schatten. Nur das uranfängliche Geist und die wahre Essenz sind sind jenseits von Zeit und Raum.
Ich mag den Ausdruck "Blase", denn genau so scheint es mir: als wäre das Universum wie ein "Traumblase", hinter der sich aber noch viel mehr verbirgt. Weiters natürlich der Begriff Schatten, der Hinweis schlechthin auf das Fraktale Sein, in dem unsere Welt lediglich Abbild oder Abglanz höherer Realitäten ist.

Im Daodejing, den Schriften des Laozi finden sich viele tolle Stellen zum Weltenbaum, dazu aber später mehr!

Der Weltenbaum im Islam ("Tuba")

islamischer Weltenbaum - Baum des Lebens
Islamischer Weltenbaum - jede Gabelung in der Struktur des
Bewusstseins ist wie ein "Ventil"
Jetzt sind wir schon Weltenbaum-Experten, deshalb ist das hier nur eine Bestätigung der Grundlagen die wir schon kennen.
Eine faszinierende Aussage ist aber z.B. diese, wenn man Gott sagen lässt: "Es gibt 70 Schleier zwischen Euch und mir, aber keinen zwischen mir und euch". Das deutet auf die "Schablonen" der Lichtanalogie (Teil 1) hin, man könnte es eigentlich Ventile nennen, denn höheres Bewusstsein überblickt niedrigeres, aber nicht umgekehrt!

Der Prophet soll gesagt haben: "der Tuba ist ein Baum im Paradies. Gott pflanzte ihn mit eigenen Händen, und atmete seinen Geist in ihn." Dass der Baum "in" einer Umgebung stehen würde, ist natürlich missverständlich, denn wie Autorin L. Bakhtiyar richtig sagt:

"Der ganze Kosmos wird als Baum gesehen, der Baum des Wissens der entstanden ist aus dem Samen des göttlichen Befehles: 'Sei'." (Q)

Und aus Wikipedia: "Im volkstümlichen Islam ranken sich zahlreiche Mythen um den Baum; Als Weltenbaum wird er zum Symbol kosmischer Ordnung." (Q)

Und der als "größter Sufi-Meister" bezeichnete Ibn Arabi: "Der Baum hat seine Wurzeln im Himmel und seine Früchte auf der Erde" (Q). Die Wurzeln des Baumes seien "die höchste Ebene des Himmels, der göttliche Thron" (Q).
Der Baum wird hier also wieder umgedreht dargestellt, was ich ja immer besonders mag.

Und wie immer: "Im Sufismus symbolisiert der Baum die Nähe zu Gott." (Q) Erst aussen im Diagramm ist Leid überhaupt möglich, und das wird ziemlich drastisch dargestellt in einer "höllischen" Weltenbaum-Variante die sich "Zaqqūm" nennt, und bei dem die Früchte gequälte Gesicher sind, was man hier sieht. Die Hölle ist kein Ort, lediglich ein Bewusstseinszustand von Konflikt und Verschlossenheit: wer starke Depressionen kennt, kennt die Hölle.

Es ist hier also alles wie man's erwarten würde. Wir kommen jetzt am Tiefpunkt der Reise an:

Der Mythos von Gottes Abstieg in die Unterwelt

Weltenbaum, Baum des LebensIn so ziemlich jeder Religion die ich vorgestellt habe, gibt es diesen Mythos - oft "Höllensturz" genannt - wie man hier liest: Odin stürzt hinunter, Jesus stürzt hinunter, Amaterasus Eltern, Osiris, die Mayagötter, der hinduistische Indra, der sumerische Enkidu, Herakles in seiner 12. Aufgabe, ....  

Auch das ist das Wachsen des Baumes nach unten. Denkt wieder an den Vergleich mit dem Urknall, der kein Knall im Raum ist, sondern die Entstehung des Raumes. Genauso ist der "Sturz Gottes" aber kein Sturz in der Schöpfung, sondern die Ausbreitung der Schöpfung bis ganz hinunter.

Danach kommt irgendwann der Aufstieg, oder die "Himmelfahrt". Im Mythos führt Jesus bei seinem Aufenthalt im Totenreich (zwischen Kreuzigung und Wiederauferstehung) Adam und Eva als erste Erlöste aus der Unterwelt wieder nach oben (Q) - der Kreis beginnt sich also zu schliessen! Diese Symbolik zeigt die Unsterblichkeit der Seele, die zyklische Natur der Existenz, Bewusstseins-Ab- und Aufstieg!

Bei Herakles ist es sehr ähnlich: er befreit  Theseus und Pirithous, die in der Unterwelt in einem permanenten Zustand der Vergessenheit gefangen sind - aber das trifft ja auf alle Menschen zu (Q). Das selbe findet sich bei Orpheus, der seine Geliebte befreien will, was im Frühchristentum mit der Christus-Legende identifiziert wurde, die Forscher erkennen aber auch unübersehbare Parallelen mit dem japanischen Izanagi ( hier und hier). 

Luzifer fällt vom Himmel wie ein Blitz - Weltenbaum, Baum des Lebens
Der Sturz von Jesus in die Unterwelt hat seine Parallele in Luzifers Sturz in die Unterwelt (samt seinen "rebellierenden" Engeln) - einen Unterschied in der Symbolik gibt es aber nicht, und wurde auch in Zeiten des Frühchristentums nicht gemacht, wo mitunter der erstgeborene Sohn "Satanael" genannt wurde, und Luzifer als Beiname Christi galt (Q). Es sind, wie C.G. Jung anmerkte, Erzengel-Zwillinge die wir in unserem Verstand als Dualität bilden.

Auch der Sturz Luzifers ist der selbe Schöpfungsmythos, denn wir sind die gefallenen Engel - darüber habe ich ja mehr als ausführlich hier und hier geschrieben. Man beachte im Bild rechts auch die Blitze, die aus dem Himmel kommen und diesen "Fall" charakterisieren. Richtigerweise ist es so zu verstehen, dass das hohe Bewusstsein (Erzengel) sich absenkt, und sich dabei, wie die Arme eines Blitzes, aufteilt in immer mehr Einheiten (Engel, Seelen).

Luzifer fällt vom Himmel wie ein Blitz - Weltenbaum, Baum des Lebens
Es ergibt sich eine wichtige Beobachtung: wir hatten in der Artikelreihe jetzt nämlich schon:

> Göttersturz
> Engelsturz
> Menschensturz

Offensichtlich sind das keine unterschiedlichen Dinge, sondern eine durchgehende Bewegung von oben nach unten, die sich durch alle "Himmelsebenen" bis zur Erde zieht.

Weltenbaum, Baum des Lebens Luzifer fällt vom Himmel wie ein Blitz
Aufspaltung des Einheits-Bewusstseins in unzählige Seelen
Interessant ist z.B., dass Erzengel Michael den Erzengel Luzifer aus dem Himmel vertreibt, er ist es aber auch, der Adam und Eva aus dem Paradies vertreibt.
Der "Kampf zwischen beiden Erzengeln im Bild rechts ist ein fundamentales Symbole für die Dualität in unserer Welt. Auch das ist im Grunde der "Kampf der Titanen" (Teil 5) zwischen den gegensätzlichen Kräften von Einheit und Abspaltung.

Diese "Stürze" werden als Rebellion dargestellt. Natürlich ist soetwas wie "Opposition zu Gott" nötig, eine Kraft die der Einheit entgegenwirkt, es gäbe sonst nichts ausser Gott, und keine Schöpfung. Wir sind nach wie vor "rebellierende Engel". Kein Mensch will mit einer "höheren Seinsstufe", oder mit der absoluten Einheit verschmelzen, selbst wenn er es behauptet. Das Ego hat einen extrem starken natürlichen Selbsterhaltungstrieb, verteidigt sich mit Händen und Füßen und reagiert mit Todesangst auf jede Veränderung der Psyche. Auch der Pfarrer, der von nichts als von Gott redet, will also in Wahrheit nichts von Gott wissen. Diese "Rebellion" ist seit dem Erwachen des menschlichen Egos - symbolisiert im Fall von Eden - eine subtile, aber umso stärkere psychologische Tatsache in jedem Menschen. Der Kampf zwischen den Kräften von Einheit und Trennung im Bild findet also auch, und vor allem, in uns selbst statt.

Das alles sollte man nicht wertend sehen, sondern als natürlichen Zyklus - genauer gesagt als die 1. Hälfte des Zyklus - um die 2. Hälfte geht es im nächsten Teil: die Rückkehr der Seelen!