Sonntag, 12. April 2015

Über das gute oder schlechte Ego, und über sinnlose Urteile

Es ist ein Krampf mit dem Ego, unserem Verstandesselbst. Oder doch nicht? Es ist im Vergleich zu dem dahinter liegenden Bewusstsein nur Illusion, und wird gern zum Feind erklärt, zu dem was wir an uns ablehnen, was wir abstossen wollen auf dem Weg "besser" zu werden. Es ist eine Ansammlung von Ideen, mal positiv bis hin zur Selbstverliebtheit, mal negativ bin hin zum Selbsthass, mal neutral - und doch ist es immer gleichermaßen nicht real. Es ist aber nicht nur das umgangssprachliche Ego (der Egoismus, selbstbezogenes Denken). Unsere ganze Wahrnehmung läuft durch den Filter der Gedanken. Unser Bewusstsein hat so nie echten Kontakt zu anderem Bewusstsein. Unser Dasein auf der Erde ist eine Schöpfung der Seele, unser Ego ist eine Schöpfung unseres Verstandes. Auf diese eigene Kreation könnten man ja fast stolz sein. Da der Verstand in Wahrheit einen Sch..dreck weiss, ist natürlich auch das Egogebilde flach und beschränkt, ohne jede Tiefe und Bestand.

Die Beschreibung ist nicht das Beschriebene, das Wort ist nicht der Gegenstand, und ein Gedanke ist nicht das Reale. Weil wir uns mit den lebenslang angesammelten Urteilen und Meinungen über uns identifizieren, bildet sich das Ego: ein kompliziertes Ideengebäude. Wir sind dann eingebildet. Unser Verstand ist eine Maschine die nicht aufhört zu tuckern und Gedanken zu spucken. Ohne Verstand wären wir in dieser Welt aufgeschmissen, es ist ein wervolles Werkzeug, keine Frage. Es hat sich aber so ergeben, dass wir als Menschen zu diesem Werkzeug geworden sind. Wir sind unsere Gedanken geworden.

Das kann jeder an sich feststellen, wenn er versucht nicht zu denken. Wir sind nicht so recht Herr über uns selbst. Wenn du völlig harmonisch im Kopf bist, dann bist du ein wahrer Meister - oder so unbewusst dass dir der Müll im Kopf nicht auffällt. Es ist eine Phase durch die jeder durch geht, das richten des Fokus auf das Innere, und das Beobachten. Die erste Reaktion ist Ablehnung: der Übeltäter wurde entdeckt und entlarvt. Er muss verurteilt und ausgemerzt werden. Aus der sicheren Distanz des Widerstandes sagen wir erbost: das bin nicht ich, so will ich nicht sein, das find ich nicht gut. Und doch sind das alles nur Gedanken, die andere Gedanken verurteilen.

Was Menschen sagen, die eine Veränderung des Bewusstseins erfahren haben:
Es tut mir Leid, aber es muss gesagt werden: die komplette Menschheit ist verrückt. Was ihr normale Menschen nennt, ist ganz und gar nicht normal. Sie sind normal verrückt, ja. Ihre Verrücktheit ist bei jedem gleich, somit sind sie normal. Aber sie sind nicht die natürliche Norm, nicht der Standard von Gesundheit. Die Welt ist ein großes Irrenhaus.
Osho - The Dhammapada: The Way of the Buddha, Vol 1 

Oder:
Die Unfähigkeit, das Denken anzuhalten, ist  eine  schlimme  Krankheit,  aber  wir  sehen  das  nicht  so,  wir halten  es  für  normal,  weil  fast  jeder  darunter  leidet.  Der unaufhörliche  geistige  Lärm  hindert  dich  daran,  den  Raum innerer  Stille  zu  finden,  der  vom  Sein  untrennbar  ist.  Er erschafft  außerdem  ein  falsches  Verstandgeborenes Selbst, das einen Schatten von Angst und Leiden wirft.
 Eckhart Tolle - Jetzt! Die Kraft der Gegenwart
Ok, wir sind verrückt, so weit so gut :)

Dann gibt es die Sicht, dass das Ego etwas Tolles ist. Denn bei vernünftigem Blick muss man sagen: was täten wir ohne Ego? Das Ego ist unsere Möglichkeit des Ausdrucks, mein individuelles Ich-sein in dieser Welt. Ego, kommt das nicht von "I go"? Ich gehe voran, drücke mich aus. Im weitesten Sinne ist Ego meine Eigenständigkeit, mein Erlebensdrang, die Kreativität meiner Seele die sich verwirklichen will auf allen Ebenen.

Oder ist das nur eine Wortspielerei? Gleiches könnte man über Emotionen sagen, diese launenhaften, uns überwältigenden Wallungen, die direkt an unser konditioniertes Denken gekoppelt sind, und die wir so gern mit wahren Gefühlen verwechseln. So wie wir über das unwillkürliche Denken hinaus gehen werden, werden wir über die Emotionen hinausgehen, ja. Aber... Emotionen, kommt das nicht von "energy in motion"? Unsere ganze Seele, sämtliche Existenz ist Energie in Bewegung. Wir werden also nie über das Emotionale hinausgehen. Ganz schön clever - aber auch unsinnig, weil man natürlich nur die Bedeutung des Wortes verändert hat.

Man kann sagen, dass auf Seelenebene die erlöste Form des Egos herrscht, auf Verstandesebene die verzerrte Form, und beides kann man als das nehmen was es ist, ohne etwas schlecht- oder schönzureden. Ein differenzierter Blick ist schon nötig, sonst weiss niemand mehr wovon man redet und wie man ein Wort versteht. Auch der spirtuelle Lehrer Adamus relativiert:
Das Ego ist eigentlich eine wundervolle Sache. Ego bedeutet buchstäblich "I go", "sich entwickeln", "sich ausdrücken". Es geht letztlich um die Erschaffung von Bewusstseins-Aspekten die euch dienen sollen. Aber ein aus der Balance gefallenes Ego ist eines, wo der Aspekt meint es wäre der Meister, wo z.B. der Aspekt des Menschseins glaubt es wäre das einzig Reale.

Tief darunter weiss es, es ist nur ein Aspekt. Es weiss, es kann in einem Augenblick sich auflösen. Also lebt es in großer Angst und versteckt sich indem es sich aufplustert.
Adamus - The Quantum Leap Series: SHOUD 4, 2007

Ist das Ego gut? Ist es schlecht? Sind wir alle verrückt? Sind wir großartige Schöpfer? Vermutlich alles und nichts davon :D

Das Zauberwort das wir alle kennen ist Annahme, Akzeptanz. Uns selbst annehmen so wie wir jetzt gerade sind. Was heisst Annahme?

Eine verbreitete Auffassung ist, Annahme heisst etwas gut finden. Deshalb will niemand unsere Welt, die doch so viel Schlechtes hat, annehmen, und niemand will sich mehr gut finden, vor lauter Bedenken hochnäsig zu sein. Annehmen ist aber weder das dualistische Gutfinden noch das Schlechtfinden. Annahme ist reine Wahrnehmung. Und reine Wahrnehmung ist die Abwesenheit von Widerstand. Dann entsteht echter Kontakt und Verständnis zu dem was ich anschaue, anstatt nur selbst mir Gedanken darüber zu bilden. Alle Gedanken die nur Lippenbekenntnisse sind, egal ob gut oder schlecht, sind immer eine Verzerrung und ein Widerstand, der reine Wahrnehmung verhindert. Wir können nicht denken und gleichzeitig die Realität wahrnehmen.

Nur.... sind wir dann nicht am selben Punkt des Nichtstuns, und Sich-selbst-aufgebens, an dem sich sowieso jeder befindet? Nein, das eine ist Unbewusstheit und Ignoranz, das andere Bewusstheit und Annahme. Und das Vertrauen, dass letzten Endes doch alles in Ordnung ist.

All is well in all of creation
Adamus

Die tiefe Wahrheit, an die ich mich in letzter Zeit immer wieder erinnern muss: wir können nur über das hinausgehen, was wir annehmen. Und Urteilen ist das Gegenteil von Annahme. Somit lasse ich jetzt mal die Frage nach der Beurteilung des Egos fallen.