Samstag, 3. Dezember 2016

Narziss und Echo - der Fall von Eden auf Griechisch

Heute komme ich zum großartigen Mythos von Narziss und Echo, einer griechischen Variante des Falls von Eden, in dem die Reflexionsfähigkeit des Verstandes, und somit auch das menschliche Ego erwacht. Narziss kann sich nicht mehr von seinem falschen Selbstbild trennen, und verliert sich so sehr darin dass er jämmerlich ertrinkt.

Die Versunkenheit in der Illusion ist schon im Wort "Narziss" (oder gr. Narkissos) enthalten, das mit "Narkose" verwandt ist. Die "Betäubung" als Symbol für einen Verlust an Bewusstsein ist ja schon in der griechische Schöpfungsgeschichte wohl etabliert, in der Kronos, betrunken vom Baum-Nektar, sich von Zeus überwältigen lässt (siehe mein Artikel!). Um den Mythos von Narziss zu verstehen, sollte man sich von allem lösen was man darüber zu wissen glaubt. Aber von vorne:

Wir haben 2 Haupt-Protagonisten, denn sein Fluch ist eine Bestrafung für sein schroffes Verhalten gegenüber der Nymphe Echo, die sich unsterblich in ihn verliebt hat, als sie ihn im Wald spazieren sieht. Doch aufgrund ihres eigenen Fluches kann sie ihm das nur schwerlich mitteilen: sie kann immer nur die letzten Worte wiederholen die Narziss zu ihr spricht, und er kommt sich ziemlich veräppelt vor. Als die Arme mit offenen Armen auf ihn zugeht um sich mit ihm zu vereinen, weist er sie grob zurück.

Es entsteht ein komisches verhindertes Liebespaar: er, der sich nicht vom reflektierenden Teich losreißen kann, und sie, die nur die gehörten Worte reflektieren kann.
Echo und Narziss am Teich
Beide Figuren verdeutlichen das selbe Thema der Reflexion, einmal in Form von Schall, einmal als visuelle Reflexion. Gemeint ist aber psychologische Reflexion.

Was ist psychologische Reflexion?

Der Verstand kann das wahre Sein nicht direkt erkennen, sondern fertigt Abbilder anhand der Werkzeuge mit denen er umgehen kann: Symbole, Wörter, Zahlen, Bilder.... Diese Abbilder sind aber nie das Echte, so wie das Wort nicht der Gegenstand ist, der Name nicht die Person, die Beschreibung nicht das Beschriebene. Diese Trennungen kann der Verstand nie aufheben. Eines der großen Themen des Mythos ist somit das Verlangen zur Vereinigung (Narziss mit seinem Spiegelbild, Echo mit Narziss), die aber nie gelingt.

Das Ego entsteht

Wenn wir unsere Reflexionsfähigkeit auf uns selbst anwenden, entsteht das Ego. Bei Kindern und Tieren ist es noch nicht vorhanden, weshalb die Katze einem ungeniert den Po hinhält, ohne sich etwas dabei zu denken. Sie hat kein gedankliches Selbstbild von sich über das sie sich Sorgen machen würde. Anders "Adam und Eva": sie aßen vom Baum der Erkenntnis und erkannten, dass sie nackt waren, worauf sie sich bedeckten. Zu der Thematik habe ich ausführlich in meinem Artikel "Ein wahrer Meister ist nicht selbst-bewusst" geschrieben.

Narzissen betrachten sich im Wasser
Aber mehr noch, die Entstehung des falschen Ego ist Ursache für jede Form von psychologischem Leid, und steht somit für das Verlassen eines sorglosen, "paradiesischen" Zustandes - bis hin zu einem "höllischen" Zustand der Depression. Darauf gibt schon der Wikipedia-Artikel über die Narzisse Hinweise:

"Die Herkunft des lateinischen narcissus ist unklar, könnte aber mit der Hölle in Zusammenhang stehen."

Es ist nicht mehr bekannt, ob der Name der Blume oder der Name der mythologischen Figur zuerst war. Es ist aber klar, dass die Blume sich mit ihrem Köpfchen über das Wasser beugt wie auch Narziss, und sie einen betäubenden Duft ausströmt (griechisch narkao = "ich werde betäubt, gefühllos, benommen"). All diese Informationen deuten darauf hin, dass die Hölle nur im Geist existiert, und zwar im durch selbst kreierte Illusionen "narkotisierten" Geist.

Der griechische Fall von Eden

Der Selbstmord begehende Narziss, der eigentlich Sohn eines Gottes ist, "fällt" im Mythos tief in die Sterblichkeit. In der Geschichte wird ihm vom Seher Teiresias nur dann ein langes Leben vorausgesagt, sollte er sich NICHT selbst erkennen (Q) - eine deutliche Parallele zum Fall von Eden, wo es heißt "Wenn ihr vom Baum der Erkenntnis esst, werdet ihr sterben".

Weiters habe ich ja schon vor kurzem die Geschichte von Jesus behandelt, in der er seine wie Narziss zu ertrinken drohenden Freunde aus dem Wassser zieht, während er selbst gefahrlos "auf dem Wasser geht" - Jesus wird hier also als jemand dargestellt, der über diese Illusion hinausgegangen ist. Das Wasser dient wie so oft als Symbol für einen illusionären Bewusstseinszustand, den es in einen höheren zu transformieren gilt, was auch in der "alchemistischen" Verwandlung von Wasser in Wein zum Ausdruck kommt. Dieser Artikel ist somit im Grunde eine Fortsetzung meines Artikels "Der Geist Gottes über dem Wasser und Jesus der übers Wasser geht - die wahre Bedeutung", den ich wärmstens empfehle!

Die Symbolik des Echo - das Äussere ist das Innere

Die Welt als Echo
unseres Selbst
Die Trennung zwischen den 2 Figuren Echo und Narziss ist selbst illusionär. Indem Narziss sein Echo als etwas äusseres verkennt und die angebotene Vereinigung ablehnt, besiegelt er sein Dasein in der Dualität. Im Echo liegt die tiefe Symbolik der Welt als Spiegelbild unseres Selbst. Denn wie wir sie wahrnehmen liegt vornehmlich an unserem eigenen Bewusstsein, und an unseren Erwartungen, die sich im Aussen - das liegt in der Natur unserer Psyche - stets bestätigt finden: wie es in den Wald hineinschallt, so hallt es heraus. So kreieren wir tatsächlich unsere eigene Realität. Narziss erlebt lediglich seine eigene Unhöflichkeit - die wahre Absicht von Echo, die nur Gutes wollte, blieb ihm deshalb verborgen.

In dem Ausmaß wie wir ein falsches Selbstbild haben (innere Spaltung, Narziss), haben wir auch ein falsches Bild von der Welt (äussere Spaltung, Echo). Beides aber sind Pendants der selben Problematik des Verstandes.

Echo (Q)
äussere Spaltung zwischen uns
und der Aussenwelt
Narziss (Q)
innere Spaltung - das Ich, das eine
Beziehung zu sich selbst hat



















Schaut euch auch diesen 5-minütigen Ausschnitt von Eckhart Tolle unten an, in dem er über diesen Mythos spricht. Er erklärt genau diese Spaltung zwischen dem ICH, und dem ICH mit dem ich eine Beziehung habe (egal ob Liebe oder Hass). Diese Spaltung überhaupt zu vereinen ist das Ziel. Das habe ich ja in vielen Artikeln unter der Bezeichnung "Subjekt-Objekt-Spaltung" (Tag) behandelt, die der Physikers und Philosoph John Wheeler in der berühmten Darstellung rechts verdeutlichte.


Leider ging das tiefe Verständnis über diesen Mythos weitgehend verloren. Dazu trugen z.B. Psychologen bei, die irgendwas von übermäßigem Masturbieren faseln. Es stimmt auch nicht dass er lediglich von eitler Selbstliebe handelt. Man könnte genauso sagen er handle von Selbsthass. Das zeigt die Geschichte, in der ein herunterfallendes Blatt Wellen auf dem Teich verursacht, und Narziss geschockt ist von seiner vermeintlichen Hässlichkeit (Q). Genau so wankelmütig und unsicher ist eben das Ego, das aber das wahre Selbst nicht sieht, das von solchen Urteilen unberührt ist.