Mittwoch, 23. November 2016

Ist die Welt ein gewaltiger Traum? heute: das Christentum

Nachdem ich letztes Mal gezeigt habe was die Upanishaden zu dem Thema sagen, komme ich heute zum Christentum. Wenn es um die Frage geht, ob unsere ganze Existenz eigentlich Bewusstsein ist, ist folgende simple Feststellung der wichtigste Startpunkt: "Gott ist Geist" (Joh 4:24). Das sollte zwar klar sein, falls es aber wirklich noch Leute gibt, die an einen Mann mit Bart glauben, wäre das jetzt eine gute Gelegenheit damit aufzuhören. Wenn wir das jetzt mit einer Aussage von Paulus kombinieren, bekommen wir schon eine Idee von der "Welt als Traum": "In ihm, dessen Gegenwart alles durchdringt, leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Er ist es, von dem wir abstammen, und wir sind von seiner Art." (Apostelgeschichte 17,28 hier und hier). Nach dieser Darstellung befinden wir uns nicht nur im göttlichen Geist, sondern sind natürlich auch selbst aus dem gleichen "Stoff" gemacht, und bewegen uns wie innerhalb eines göttlichen Traumes.
Das lässt sich alles wunderbar in allen Schritten der christlichen Kosmogonie, also Weltentstehung, belegen, und dann schauen wir was Jesus und Max Planck dazu sagen:

Am Anfang war das Bewusstsein

Ist alles Geist? In Anlehnung an die Bibel ("Am Anfang war das Wort") ist in den frühchristlichen Nag Hammadi-Schriften zu lesen:
In dieser Weise geht das Wort [Logos] des Vaters hinaus in das All, als eine Erscheinungsweise seines Willens. - Evangelium der Wahrheit
"Wort" ist die deutsche Übesetzung für das griechische "Logos", was eben Wille, Geist, Bewusstsein bedeutet. In Verbindung mit der Idee des gesprochenen Wortes entsteht der Eindruck eines Tones, oder eben einer "Bewusstseinsschwingung" (ein Begriff der auch in der aus dem 19. Jhdt stammenden deutschen Übersetzung der Upanishaden Verwendung findet). Wir haben hier eine direkte Übereinstimmung mit dem Urklang "Om", aus dessen Vibrationen die Schöpfung entstand.

Dass die Schöpfung eine rein geistige Angelegenheit ist, macht auch diese Stelle deutlich:
Und sein Gedanke vollbrachte eine Tat und trat in Erscheinung vor ihm im Glanz seines Lichtes. Das ist die erste Kraft, welche vor dem All war und welche in Erscheinung trat aus seinem Denken. - Das Apokryphon des Johannes
Jetzt entstehen durch diese "Gedankentätigkeit" neue Bewusstseins-Einheiten:

Die Entstehung der Seelen

Im folgenden Auszug wird dargestellt, dass die hervorgebrachten Seelen (hier als Äonen bezeichnet) dadurch existieren, dass sie vom ewigen Sein "gedacht" werden:
Der Vater, der sie (die Äonen) zuerst dachte, hat ein Denken gesät wie einen Samen, sodaß sie nun existieren mögen in seinem Denken als gedankliche Wesen und daß sie jedoch auch für sich selbst existieren. - Der dreiteilige Traktat
Das wird unterstrichen durch die Aussage: "Sie waren ewig in dem Gedanken, denn der Vater war wie ein Gedanke." Es wird hier vermittelt, dass die Seelen (von mir aus Engel) innerhalb des Gesamtbewusstseins existieren wie Gedankenformen, und dass diese aber, eben weil sie selbst Bewusstsein sind, wiederum freien Willen und eine eigenständige "Persönlichkeit" haben.

Aufgrund der fraktalen Natur des Seins sollte dieses Prinzip auch in uns beobachtbar sein (Eckhart Tolle: "Jeder Gedanke hat ein Selbst"), unsere gewöhnliche Gedankenenergie ist aber zu schwach um das zu bemerken. Zen-Meister aber kennen ein Phänomen, das im Buddhismus "Tulpa" (Wikipedia) genannt wird: das Hervorbringen von stark konzentrierten Bewusstseinsformen, die "selbständig" werden, sich also vom Einfluss des "Schöpfers" ablösen, oder sogar für andere Menschen sichtbar werden.

Höhere Seelen bringen niedrigere Seelen hervor

Die hierarchische Abfolge von geistigen Welten, die ich in meiner Weltenbaum-Serie dargelegt habe, wird z.B. deutlich, wenn eine Seele "zwischen" Gott und Mensch - nämlich Christus - sagt: "Eines Tages werdet ihr erkennen dass ich in meinem Vater bin, und ihr in mir." (Johannes 14). Oder hier, wo der "Gottessohn" die Menschen wiederum als seine Söhne bezeichnet: "Ihr seid Götter, meine Söhne seid ihr!" (Psalm 82,6) Dass Christus selbst weitere Engel hervorbringt, ist in den Nag Hammadi-Schriften explizit zu lesen:
Er aber, der Erstgeborene, wird ,Christus` genannt. Da er Macht hat von seinem Vater, schuf er eine Menge von Engeln ohne Zahl als sein Gefolge aus Geist und Licht. - Die Sophia Jesu Christi
Das Ergebnis dieses Prozesses sind immer kleinere Seelen die sich Welten teilen, und so wird das Universum auf der empfehlenswerten Seite Jenseits-de.com regelmäßig als gemeinsamer "Massentraum" bzw. "Massenillusion" bezeichnet.

Der Fall von Eden ... die Menschheit fällt in einen Schlaf

Dieses hierarchische Träumen von Welten kann als "Fall" des göttlichen Bewusstseins bezeichnet werden, beginnend auf höchster Ebene (Mythos vom Fall des Erzengel Luzifer), und führt bis zum Fall des Menschen - beides Stufen des selben Prozesses, in dem Bewusstsein sich in immer tiefere Ebenen träumt. Der Mensch hat in sich ein Ego herausgebildet - eine gedankliche Kreation - und hat sich dadurch in eine Art von Tagtraum begeben. Der Mensch ist in einen Schlaf verfallen:
Der Herr hat einen Geist über euch kommen lassen, der euch in tiefen Schlaf versetzt hat. (Jesaja 29:10)
In den Nag Hammadi-Schriften ist das so dargestellt:
Kommt, laßt uns bringen einen tiefen Schlaf über Adam. Und er schlief ein. Der tiefe Schlaf aber ist die Unwissenheit, die sie über ihn gebracht haben. - Das Wesen der Archonten
Natürlich ist der Schlaf kein buchstäblicher Schlaf. Es ist ein Verlust an Bewusstsein und Wahrnehmungsfähigkeit. Das wird an späterer Stelle deutlich wenn Jesus darüber spricht:
Und Jesus sagte: ,,Es ist nicht, wie Moses schrieb: ,Er brachte ihn in den Schlaf.‘ Vielmehr war es nur in seinen Wahrnehmungen, daß er schlief. Denn er sagte durch den Propheten: ,Ich werde ihre Herzen schwer machen, damit sie nicht aufmerksam sind und nicht sehen.‘ - Das Apokryphon des Johannes
In diesen Worten wird die Bedeutung von Meditation deutlich, durch die diese Aufmerksamkeit wiedergewonnen werden soll.

Jesus der die Menschen aus dem Schlaf erweckt

Wenn wir jetzt zum neuen Testament kommen, finden sich hier wieder weitere Anspielungen auf den Schlaf der Menschheit. "Es ist Zeit für euch, aus dem Schlaf aufzuwachen." (Römer 13) Zusätzlich dienen als weitere Metaphern auch die Blindheit oder der Tod, oft auch in Kombination wie hier:
Erwache aus deinem Schlaf! Erhebe dich von den Toten! So wird dich Christus erleuchten. (Epheser 5:14, hier und hier)
Genau das selbe haben wir in der Geschichte von der Erweckung von Lazarus, der als "tot" gilt:
Danach sagte Jesus zu seinen Jüngern: »Unser Freund Lazarus ist eingeschlafen. Aber ich werde hingehen und ihn aufwecken.« Sie antworteten: »Herr, wenn er schläft, dann geht's ihm bald besser.« Jesus hatte jedoch von seinem Tod gesprochen. (Johannes 11)
Warum werden Tod und Schlaf verwendet als wären sie austauschbar? Weil in der tieferen Bedeutung weder der buchstäbliche Tod noch der buchstäbliche Nachtschlaf gemeint sind, sondern der Zustand unserer Existenz, für den uns sonst die Worte fehlen. In der Bibel werden die Sehenden als blind bezeichnet, die Lebenden als tot, und die Wachen als schlafend. Das sind wir, denn so erscheinen wir im Vergleich zu höheren Existenzzuständen. Nur als Relation zwischen Seinsebenen sind diese Mythen richtig interpretierbar.

Eine weitere Metapher ist die "Trunkenheit":
"Seid wachsam, damit Ihr nicht belastet und abgestumpft werdet von Zerstreuung und Trunkenheit und den Sorgen des Lebens." (Q)
Diese Aussage könnte direkt von Eckhart Tolle stammen, einem der größten spirituellen Lehrer unserer Zeit. Wer ihn kennt wird auch verstehen, dass hier die Trunkenheit an unseren zerstreuten Gedanken gemeint ist - "Denken ist die größte Sucht der Menschheit", wie auch Eckhart sagte. Nicht einmal die Theologen verstehen diese Zusammenhänge, weshalb viele Bibelübersetzungen buchstäblich von "Rausch und Saufen" sprechen (Q). Auch die "Zerstreuung" ist mehr als eine leere Floskel, denn sowohl Eckhart als auch Jiddu Krishnamurti bezeichnen den Menschen als fragmentiertes Wesen das sich in seinen abertausenden Gedanken verloren hat.

In den Nag Hammadi-Schriften liest man diesen Aufruf zum Erwachen, wenn Jesus sagt:
Gut für den Menschen, der zu sich zurückkehren wird und aufwachen wird! Und gesegnet ist der, der die Augen eines Blinden geöffnet hat. - Das Evangelium der Wahrheit
Bleibt ihr etwa jetzt noch dabei zu schlafen, wenn es doch für euch angemessen ist, von Anfang an wach zu sein, damit das Himmelreich euch aufnimmt? - Der Brief des Jakobus
Mit der "Aufnahme in das Himmelreich/Königreich" ist der Zustand der Erleuchtung gemeint, das Erwachen aus dem egoischen Zustand. "Erwachte" wie Jesus oder Buddha sind wie Menschen, die während des Träumens "luzide" geworden sind, nur eben "1 Stufe höher":
Ein Klartraum oder auch luzider Traum ist ein Traum, in dem der Träumer sich dessen bewusst ist, dass er träumt. (Wikipedia)

Besteht das Universum aus Bewusstsein?

Wenn unser Leben tatsächlich wie ein Traum sein sollte, dann bedeutet das, dass sowohl Innen- wie auch Aussenwelt Bewusstsein sind, und dass somit auch die Wahrnehmung eines Verschmelzens möglich ist. Um diese Einheitserfahrung ging es ja ausführlich im vorigen Teil, und darauf spielt Jesus an, wenn er sagt (Thomasevangelium):
Wenn ihr das Innere wie das Äußere macht und das Äußere wie das Innere dann werdet ihr eingehen in das Königreich.
und
Das Königreich ist innerhalb von euch und außerhalb von euch.
Das alles bedeutet nicht, dass die Welt nur in unserem Kopf wäre. Es bedeutet, dass jenseits aller Formen das verbindende Formlose liegt, in dem Innen und Aussen verschmelzen.

Ein Puzzlestück fehlt uns noch: was sagt die Physik zu dieser "unerhörten" These? Fragen wir doch den Physiknobelpreisträger Max Planck, der diese Frage aus seiner Sicht längst beantwortet hat:
Max Planck über Geist und Materie
Max Planck (1858-1947)
Physik Nobelpreisträger
Als Mann der sein ganzes Leben der nüchternen Wissenschaft verschrieben hat, kann ich ihnen als Ergebnis meiner Erforschung des Atoms folgendes sagen: es gibt keine Materie an sich. Alle Materie existiert ausschließlich aufgrund einer Kraft die die Partikel des Atoms in Schwingung versetzt.

Es gibt aber keine ewige Kraft im Universum (wir können kein perpetuum mobile bauen). Wir müssen hinter dieser Kraft die Existenz einer bewussten Intelligenz annehmen. Dieser Geist ist der Urgrund aller Materie.

Ich erachte Bewusstsein als das Fundamentale. Ich sehe Materie als von Bewusstsein hervorgebracht. Alles worüber wir sprechen, alles was wir als existent ansehen, setzt Bewusstsein voraus. Quelle
I rest my case!

Im nächsten Teil zeige ich vermutlich noch, was bekannte Philosophen wie Rene Descartes oder Arthur Schopenhauer dazu sagen!

Die Reihe: Ist die Welt ein gewaltiger Traum?
1 - Die Upanishaden
2 - Das Christentum
3 - Zhuangzi, Descartes, Schopenhauer u.a.