Freitag, 11. September 2015

Kann etwas "Sinn machen"? Der Spaß am Anti-Amerikanismus und das dualistische Pendel

Es ist eine kuriose Diskussion! Ist "Sinn machen" schlechtes Deutsch, ein schlimmer Anglizismus den nur Idioten verwenden, übernommen von den Amerikanern, wie so viele andere Unsinnigkeiten? Oder ist es eine Formulierung die Sinn macht? Diese Frage ist mir untergekommen, und erst nachdem ich beschlossen habe darüber zu schreiben, ist mir aufgefallen, wie groß diese Diskussion im Netz ist, und wie sehr manche diese Formulierung anfeinden. Witzig. Die Argumente wurden also längst vorgelegt. Aber das hindert mich ja nicht daran die wichtigsten davon zu klauen und nocheinmal hier aufzuführen, weil sich das meiste mit meinen eigenen Gedanken deckt.

Auch Alexander Wagandt schimpft:
Der Sinn, den die Amerikaner auch zu "machen" glauben... "make sense", wir können Sinn machen, wir können alles machen...
Nein, Sinn kann nicht gemacht werden. Du kannst sinnvolles tun oder sinnloses, aber du kannst keinen Sinn machen. (Q)
Nun, das hört sich an, als wäre die Auffassung, man könne Sinn "machen" fast soetwas wie Blasphemie, zumindest aber ein Zeichen für den typischen Größenwahn der Amerikaner. Alexander Wagandt reiht sich ein in eine Gruppe, die manche als Sprachnörgler bezeichnen würden: Menschen, die Angst haben, dass unsere "reine" Sprache durch schlimme Einflüsse von aussen versaut und verdummt wird. Es ist auch deutlich, dass es hier um mehr geht als um Sprache, nämlich eher um Polemik. Dass "die Amerikaner", wie er es so schön pauschalisiert, die Englische Sprache nicht erfunden haben spielt dabei keine Rolle. Anti-Amerikanismus ist "in" und kommt bei den Leuten an (und ist ja auch oft genug gerechtfertigt).

Ich frage mich, was ist an "etwas macht Sinn" so schrecklich? Wir sagen doch sowieso auch "etwas ergibt Sinn". Wo ist da der Unterschied? 2x2 macht 4.... 2x2 ergibt 4. Warum ist eines in Ordnung, das andere nicht? Seltsam...

Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch nahm sich des Themas gleich in einer mehrteiligen und lesenswerten Artikelreihe an, und kommt zu dem Ergebnis, dass die Kritik am "Sinnmachen" auf, gelinde gesagt, wackligen Beinen steht. Und obwohl die umstrittene Formulierung sich tatsächlich erst in der Nachkriegszeit bei uns breit gemacht hat, findet man frühe Zitate, die von gar nicht blöden Leuten stammen, die auch so gar nicht amerikanisch sind:

Gotthold Ephraim Lessing, bedeutender Dichter der deutschen Aufklärung des 18. Jhdts:
"Nun ist es wahr, daß dieses eigentlich keinen falschen Sinn macht; aber es erschöpft doch auch den Sinn des Aristoteles hier nicht."
- Gotthold Ephraim Lessing, notiert am 8. März 1768
und auch hier:
Ein Übersetzer muß sehen, was einen Sinn macht.
- Gotthold Ephraim Lessing, Briefe, die neueste Literatur betreffend, 10. Januar 1760
Oder wie wärs mit Goethe:
Die psalmen sind theils als solo, duett, chor gesetzt und unglaublich original, ob gleich man sich erst einen sinn dazu machen musz.
- Johann Wolfgang von Goethe
Das hat natürlich eine gewisse Ironie, wenn den selbsternannten Verteidigern der deutschen Sprachkultur ausgerechnet der größte Dichter und Denker in die Suppe spuckt.

Oder Max Frisch, der mit Romanen wie "Homo Faber" Eingang in den Schulkanon fand:
Wenn sich einer hinstellt und nun die authentischen Sätze von Kaduk, einem KZ-Mann, spricht, so wird die Authentizität dadurch herabgesetzt, daß gespielt wird. Und das macht keinen Sinn.
- Max Frisch in einem Interview mit Rolf Kieser
Dabei muss man verstehen, dass Max Frisch Schweizer war - und das interessante ist, dass Schweizer generell viel eher "Sinn machen" sagen, und nicht "Sinn haben". Schon komisch, wenn gegen die Amerikaner gewettert wird, und dann Briten, Schweizer und Goethe getroffen werden. Aber weiter:

Hier Luther:
Die weyse ist, das man wenig wort mache, aber vill und tieffe meinungen oder synnen.
- Martin Luther
Also, weniger Worte machen, dafür mehr Sinn! Wenn man keinen Sinn machen könnte, dürfte es kein Verb dazu geben, oder? Gibt es aber, das uralte Wort "sinnen"! Und das leitet sich ab von "senden", d.h. wir senden unsere Gedanken in eine Richtung, lenken unsere Aufmerksamkeit. Sinnen ist nicht trennbar von unseren Sinnen.

Sinn ist ein aktiver, dynamischer Prozess ...
 
...und klarerweise völlig subjektiv! Was für mich Sinn ergibt, muss nicht für jemand anderen Sinn ergeben! Einfach zu behaupten etwas hätte nun mal - von sich aus - Sinn, und damit basta, als würde der Sinn in den Dingen fertig drin stecken, ist keine gute Darstellung der tatsächlichen Vorgänge.

Das alles wird bestätigt durch das Wörterbuch der Gebrüder Grimm, demzufolge das Wort "Sinn" folgende früheste Wurzeln hat:
von westindogermanisch sento:  ans Ziel gelangen, bzw. séntos: Weg, Gang, Richtung
Die ursprüngliche Bedeutung der Wurzel war augenscheinlich die einer Ortsbewegung, und wurde dann in die geistige Sphäre übertragen. (Q)
Aus Ortsbewegung wurde das Senden unseres Geistes...  Sinn ist also keineswegs etwas für den Menschen unmachbares. In letzter Zeit erwähnte ich ja oft, dass der Philosoph und Mystiker J. Krishnamurti das Denken als "Bewegungen unseres Bewusstseins" bezeichnete - ein zeitgebundener Prozess mit Richtung und Ziel. Wir machen dabei sehrwohl Sinn, und zwar jeden Tag, jede Sekunde. Das entspricht auch dem Stand der Kognitionswissenschaft, in der man davon ausgeht, dass Sinn erst im Kopf des Beobachters entsteht, wie Stefanowitsch im dritten Teil der Reihe erwähnt, und er führt dieses Zitat des Hirnforschers Gerhard Roth an:
Wenn ich zu Ihnen spreche, so produziert mein Mund Serien von Schalldruckschwankungen, die an Ihr Ohr dringen und als solche keinerlei Bedeutung haben. Die Bedeutung dessen, was ich sage, wird ausschließlich in Ihrem Gehirn erzeugt; Bedeutung kann grundsätzlich nicht übertragen werden.
Wir machen tatsächlich Sinn! Das widerspricht natürlich dem, was ein weiterer Sprachnörgler sagt (aus dem 2. Teil):
„Sinn“ und „machen“ passen einfach nicht zusammen. Das Verb „machen“ hat die Bedeutung von fertigen, herstellen, tun, bewirken; es geht zurück auf die indogermanische Wurzel mag–, die für „kneten“ steht. Das erste, was „gemacht“ wurde, war demnach Teig. Etwas Abstraktes wie Sinn lässt sich jedoch nicht kneten oder formen.
Wieder seltsam. Denn interessanterweise "bilden" (= formen, gestalten Q) wir uns auch Meinungen und Vorstellungen, und "formulieren" (=formen) Gedanken. Auch im Kopf sind wir, wenn man so will, nichts anderes als "bildende Künstler", die den Ton unseres Bewusstseins bearbeiten ... "kneten" finde ich da gar nicht unpassend! Und Sprachwissenschaftler Stefanowitsch hat wenig Probleme, eine Unzahl an anderen abstrakten Dingen aufzuzählen, die wir ebenso "machen" (Fortschritt, Eindruck, Kopfzerbrechen, Anstalten, etc). Köstlich!

Ein weiterer Punkt, der mir auch gleich in den Sinn kam, war natürlich der, dass die unterschiedlichen Formulierungen rund um das Wort "Sinn" jeweils unterschiedliche Bedeutungen haben... es macht also absolut Sinn, eine breitere Auswahl zu haben! So meint man z.B. mit "es hat keinen Sinn", dass es zwecklos ist, mit "es macht keinen Sinn" meint man aber, dass es nicht vernünftig oder gut durchdacht ist. Das veranschaulicht Stefanowitsch in seinem Schlussresumee:
Sie können die Redewendung Sinn machen in Zukunft natürlich meiden. Aber das hat keinen Sinn (der Ausdruck wird sich ungehindert weiter durchsetzen), es ergibt keinen Sinn (es fehlt jede rationale Begründung, den Ausdruck zu verteufeln), und es macht auch keinen Sinn (es handelt sich nämlich um eine wertvolle Ergänzung der deutschen Sprache).
So weit so gut! Aber könnte es nicht sein, dass "Sinn" doch etwas Absolutes und Ewiges ist, das wir Menschen bestenfalls erschliessen können? Dann könnte man natürlich keinen Sinn machen, so wie auch "Liebe machen" nicht wirklich funktioniert. Sinn wird dann synonym mit einer höheren Wahrheit oder höheren Ordnung, nach der wir handeln können oder nicht. So wie der Lebenssinn den wir suchen. Wobei dann aber viele sagen würden, der Lebenssinn liegt darin, dem Leben einen Sinn zu geben... also unsere Selbstermächtigung, wobei wir dann aber wieder beim Machen sind. Aber das sind Philosophierereien, und man kann wohl kaum jemandem vorwerfen (nicht einmal "den Amerikanern") wenn man das im alltäglichen Sprachgebrauch vernachlässigt.

Unterm Strich ist es eben doch so, dass nur nach einem Vorwand gesucht wird, seinem Anti-Amerikanismus Luft zu machen. Englisch und Deutsch sind beides Westgermanische Sprachen mit gemeinsamen Wurzeln. Daraus irgendwelche Anfeindungen zu konstruieren ist ja auch Kinderkram, und macht weder aus sprachwissenschaftlicher, philosophischer, kognitionswissenschaftlicher, spiritueller oder kulturhistorischer Sicht viel Sinn. Und wenn die Nörgler ehrlich wären, sie würden zugeben müssen, dass es nicht wirklich die Wörter sind an denen sie sich stören.

Was man beobachten kann ist, dass die Sprachpuristen nicht selten Kulturpuristen sind, und die sind nicht selten Volkspuristen. Je konservativer jemand ist, desto wichtiger erscheinen ihm Grenzen, und umso mehr Angst hat derjenige, dass sich etwas durch diese Grenzen schummeln könnte. Und dann wird selbst eine Wortkombination zu einer schlimmen Bedrohung die den Niedergang des Abendlandes bedeuten könnte. Und wenn man Alexander Wagandts "Tagesenergien" kennt, dann sieht man, wie tief er in dem Geplänkel zwischen USA und Russland steckt, auch wenn das ganze dann unter der Bezeichnung "Bewusstsein und Spiritualität" verkauft wird - wo es eigentlich darum gehen sollte, für sich stehen zu können, ohne sich mit diesem oder jenem Block zu identifizieren. Gewisse konservative Kreise sind aber so überzeugt von der Bösartigkeit der USA, dass sie mit offenen Armen in die andere Richtung laufen - als wären das die zwei einzigen Möglichkeiten, und als wären wirklich die einen besser oder schlechter als die anderen. Sie sind in diesem dualistischen Pendel gefangen, in diesem Entweder-oder-Denken, das es eigentlich abzulegen gilt...