Montag, 17. August 2015

Was sind Gedanken? III - die Imitationen der Gedanken die unsere Realität bilden


Wie echt ist unsere Realität?
(aus Die Truman Show)
"Realität" ist unsere Vorstellung von der Welt, die für uns real wird. "Vorstellung" heisst: wir stellen ein gedankliches Abbild vor uns - zwischen uns und die Wahrheit - und es ist so gesehen eine Barrikade. Deshalb fragt uns Krishnamurti: können wir die Wahrheit (die "unvorstellbar" komplex ist) mit unserem Bewusstsein direkt und umfassend wahrnehmen? Ohne sie in bemessende Wörter, Bilder und Symbole zu verwandeln?

Can you look without the word?
Can you look without the image?
Can you look without the past?
- J. Krishnamurti

Bis dahin besteht unsere Realität aus "Schattenbildern" - das erkannte schon Plato im 5. Jht vor Chr., der in seinem bekannten Höhlengleichnis "das irdische Leben als Schattenwelt darstellte, die man mit der Wirklichkeit qualitativ nicht gleichsetzen kann und nur deren Abglanz ist" (Q). Und die Verbindung zwischen beiden Sphären ist wie eine Einbahnstraße, betonen Bohm und Krishnamurti in ihren Diskussionen. Das heisst wir sind zwar immer innerhalb der Wahrheit, aber durch die Instrumente unserer Realität können wir sie nicht wahrnehmen. Denn:

Das Denken kann nicht über seine eigenen Grenzen hinausgehen
- J. Krishnamurti

Und nach Äonen in dieser "Schattenwelt" ist etwas interessantes passiert:

Gedanken haben von allem Wahren ihre eigenen "Imitationen" erschaffen - unsere Realität:

Das heisst dass vieles was wir in unserem Leben normal finden eigentlich Nachbildungen unseres Verstandes sind von etwas Fundamentalerem, zu dem wir aber den Kontakt verloren haben. Hier ein paar Beispiele:

Seele - Ego
Wahrheit - Realität
Bewusstsein - Denken
Sein - Haben
Alles/Nichts - Dinge
Wahres Verständnis - "der Verstand"
Weisheit - Wissen sammeln
Wahre Intelligenz - IQ als Messwert
Kreativität - ausklügeln
Bedingungslose Liebe - Liebe als Handel
Fühlen - Emotionalität, Sentimentalität
Glückseligkeit - Unterhaltung
Wahre Einheit - Imitation, Konformität, sich zusammenrotten
Wahre Freiheit - tun was ich will, Egoismus
Komplexität - Kompliziertheit
Höhere Ordnung - logische Ordnung

Jetzt kann man sich selbst fragen, wie viel "Wahres" im Leben da ist, oder ob es doch nur die Imitationen sind. Manches ist für uns wie ein abstraktes, unerreichbares Ideal, wie "bedingungslose Liebe". Und in unserer Wissens- und Informationsgesellschaft wissen wir zwar viel, aber nicht, was Weisheit sein könnte, ausser die Eigenschaft von einem Zauberer im Märchen. "Glückseligkeit" ist noch so ein Wort das normalerweise niemand verwendet - eben weil wir das gar nicht kennen. Über den Unterschied von Komplexität und Kompliziertheit, höherer und logischer Ordnung habe ich ja schon vor kurzem hier geschrieben.

Ich möchte ein paar der Punkte näher erläutern:

Emotionen sind die Imitationen von Gefühlen durch den Verstand

Der spirituelle Lehrer Adamus über Emotionen:
Emotionen sind ziemlich flüchtig und oberflächlich. Gefühle sind echt, vollständig. (Q) Ich freue mich darauf wenn ihr alle über das Emotionale hinausgeht. Das bedeutet nicht, herzlos zu sein oder ohne Liebe und Tiefgang, denn noch einmal, Emotionen werden vom Verstand erzeugt, nicht von der Seele. Wenn ihr das versteht, dann werdet ihr sehen, dass Emotionen wirklich etwas sehr falsches und künstliches waren, und sehr energieraubend. (Q)
Aber da ist dieser seltsame Trick: ihr denkt dass der Verstand eines ist und Emotionen etwas anderes. Sie sind aber tatsächlich das selbe. (Q) Sie sind die schlechten Imitationen von echten Gefühlen durch den Verstand. (Q) - Adamus
Oft ist es so, dass gerade die Menschen die eher rational und gefühlskalt sind zu Sentimentalität neigen (wenn sie denn mal "Gefühle" zeigen wollen) - meist gewürzt mit Rührseligkeit, Berechnung, Manipulation und Opferhaltung. Es ist ihre Imitation von Gefühl, es ist die Version von Gefühl zu der sie fähig sind. Dann ist da die Steigerungsform von Emotion, Drama, was gern als Energieschub benutz wird, damit das Leben nicht ganz so langweilig ist - "to emote" heisst "dramatisieren".

Wahre Intelligenz ist Bewusstsein

Tja, Intelligenz ist in unserer Gesellschaft ja extrem überbewertet, es ist aber nur ein Messwert des Verstandes. So wie der Prozessor im PC schnell sein kann oder langsam. Das hat aber nichts damit zu tun was ich mit dem PC mache. Die größten Verbrecher und politischen Mörder waren mitunter sehr intelligent und verursachten trotzdem nur Gewalt.

Wahre Intelligenz und Kreativität sind etwas anderes. Ein ganz neuer Ansatz, der uns noch völlig fremd ist, ist der dass das Sein selbst intelligent ist. Das heißt, dass "richtiges Handeln" schon in jeder Situation enthalten ist, wenn wir damit verbunden sind (so wie die Mystiker sagen, dass die Antwort schon in der Frage enthalten ist). Wenn wir nicht mehr im Verstand zentriert sind, verschmelzen Aktion und Reaktion wieder zu einem "Fluß der Gegenwart", denn das sind zwei "Dinge" die eigentlich nicht getrennt sind. Zwischen beides haben wir das Denken gestellt, was Zeit erzeugt, also das Abweichen von dem was ist.

Wenn Zeit ein Faktor ist im Finden von Lösungen,
ist das ein Zeichen von mangelnder Intelligenz.
- J. Krishnamurti

Das widerspricht natürlich völlig unserer gewohnten Lebensweise. Ohne Kontakt zu dem was IST schlingern wir mit dem Verstand herum auf der Zeitleiste und zerbrechen uns den Kopf um Lösungen für Probleme zu finden. Wahre Intelligenz ist die Verbindung mit dem Bewusstsein in uns und um uns. Der Verstand kann Intelligenz dadurch imitieren, dass er so viele Informationen wie möglich sammelt und sie möglichst schnell bearbeitet. Denken ist gebunden an das was im Kopf schon vorhanden ist, an die Vergangenheit, an unsere lebenslange Konditionierung, genauso wie auch ein Computer nur innerhalb von dem arbeiten kann wie er programmiert wurde. Das ist aber nicht wahre Intelligenz!

Ganz ähnlich ist es beim Thema Kreativität. Für uns ist Kreativität wenn eine Marketingfirma ein cleveres Plakat entwirft, aber Krishnamurti sieht das natürlich wieder ganz anders:

Das was Kontinuität hat ist nie kreativ.
That which has continuity is never creative
- J. Krishnamurti

Denken ist das womit wir dem Alten Kontinuität geben und so unsere lineare Zeit erschaffen. Wir halten am Alten fest, speichern es ab und projizieren daraus in die Zukunft, und alles "Neue" ist eigentlich eine Fortführung des Alten. Das ist aber nicht echte Kreativität (Schöpfung). Denn wenn wir nur die Dinge zur Verfügung haben die wir im Kopf gespeichert haben, können wir wohl kaum aus dem Vollen schöpfen.

Irgendwann in unserer Geschichte haben wir den Kontakt zu dem Fundamentalen verloren und sind ganz in die Ebene der Gedanken gerutscht... und irgendwann haben die Gedanken vergessen, dass ihre Imitationen nicht das Wahre sind.

Das Ego ist eine Imitation der Seele aus Gedanken

Und weil Dinge wie auch Gedanken vergänglich sind, haben sie das Ego erfunden, um sich selbst Permanenz zu verleihen - ein Bündel an Gedanken das lebendig geworden ist, als Nachbildung der ewigen Seele. Natürlich hilft das aber nicht viel!

"Impermanence is suffering"
aus den buddhistischen Sutras

Wenn unser Ego gefährdet wird, verteidigen wir es, weil wir sonst glauben sterben zu müssen. Das erkennt man auch in der verhängnisvollen Auffassung "Ich denke, also bin ich." Das hört sich an als würden wir tot umfallen, wenn wir aufhören zu denken (wahrscheinlich denken wir deshalb den ganzen Tag...). Wir haben unsere Existenz an das Denken geknüpft. Wir fürchten sogar, wenn wir das Ego loslassen, bricht die ganze Welt für uns zusammen - denn es enthält ja auch alle unsere Vorstellungen über die Welt, und so ist beides eins:

Das Zentrum (Ego) ist das selbe wie die Welt!
(The center is the same as the world!)

Du bist die Welt. Und die Welt ist du.
(You are the world. And the world is you.)
- J. Krishnamurti 

Ego = Identifikation mit Gedanken

In einem ihrer Dialoge fasste David Bohm die fundamentale Trennung zwischen Denker und Gedanke in uns so zusammen (Q):
Gedanken haben das Ego erschaffen, aber sie haben sich abgetrennt von dem was sie erschaffen haben. Und um die Illusion aufrechtzuerhalten, dass das Ich und seine Gedanken unterschiedlich sind, fragmentieren wir gleich die ganze Welt. Zum Beispiel identifizieren wir uns mit einer Nation, dann müssen wir auch andere Nationen definieren die wir nicht sind, und so zerteilen wir die Menschheit, damit das fragmentierte Ich, das aus Identifikationen besteht, seine Existenz rechtfertigen kann.
Jiddu Krishnamurti und David Bohm im Gespräch

Aber was ist "Identifikation"?

Identifikationen sind nie die Wahrheit! Wir identifizieren uns nur mit etwas, wenn wir es nicht sind! Niemand würde sagen "Ich identifiziere mich mit mir selbst". Das wäre unnötig. Aber wir identifizieren uns mit Vorstellungen die wir von etwas haben. Mit einer Nation und nicht einer anderen, einer Religion und nicht einer anderen, einer Partei und nicht einer anderen, unserem Status im Vergleich zu anderen, unserem Besitz im Vergleich zu anderen...

Can you live without comparing yourself with anybody?
- J. Krishnamurti

Wir identifizieren uns meistens mit etwas das größer ist als wir selbst. Wir fühlen uns leer und klein, und dann sagen wir, ich bin ein Christ, und schon ist man in einer großen Gruppe von 2 Milliarden Menschen, bekommt alle nötigen vorgefertigten Ideen präsentiert, und gleichzeitig braucht man als Schäfchen in der Menge keine Eigenverantwortung zu übernehmen. Aber "ich bin dieses und jenes" ist trotzdem nur ein Gedanke - ich bin in Wahrheit noch immer der selbe. Aus solchen Identifikationen entsteht eine illusionäre "Identität", wir machen aus ihnen unseren Besitz (wie im Wort "Meinung"). Der Rat, besitzlos zu sein, war auch den Mönchen bekannt, haben es aber irgendwann nur noch auf die äussere Welt angewendet (und nicht einmal das).

"Ich bin dieses und jenes" ist nur ein Gedanke den ich habe.
Das ist die Illusion des Egos. 

Wahrheit kann nicht organisiert werden.
- J. Krishnamurti über Religion

Auch Imitation und Konformität mit anderen ist Vergleichen und Messen. "Heilig sein" hingegen ist ein Allein sein, in dem alles eins ist. Ein schönes (scheinbares) Paradoxon. Der "Heilige" ist völlig frei und allein, und trotzdem in wahrer Einheit. Sich nicht mit anderen zu vergleichen und sich nirgends einzufügen braucht aber extrem viel Eigenverantwortung und Mut.

 Alone - the word alone means all one. - J. Krishnamurti

Auch unsere Vorstellung von Gott ist Illusion, Maya...

Der Theologe Paul Tillich sagte deshalb einmal, und es deckt sich genau mit dem was Bohm im vorigen Teil sagte ("Realität ist immer bedingt - Wahrheit ist unbedingt"):

„Ein Glaube, der seine Symbole wörtlich versteht, wird zum Götzenglauben.
Er nennt etwas unbedingt, was weniger ist als unbedingt." (Q)
 
Ein "Götzenbild" ist laut Wörterbuch ein Idol, ein "Schattenbild, Trugbild". Wir sind also wieder genau beim Thema der Schattenwelt unserer Realität. Millionen von Menschen glauben die Wahrheit steckt in den Wörtern eines Buches, bilden daraus ihre Vorstellungen und bringen sich dafür gegenseitig um, aber keiner von ihnen hat je die Wahrheit erlebt, auf die die Wörter nur hindeuten. Die Kirche hat nichts dazu beigetragen, dass wir etwas Göttliches in uns finden. Sie hat Wörter konserviert, sie in Konzilen analysiert, damit der Pfarrer den Leuten daraus vorlesen kann. Immer mit dem Hinweis, ja nicht selbst in sich nach Gott zu suchen. Die Kirche würde ja sonst ihr Monopol über die "Wahrheit" verlieren (die sie selbst nicht kennt). Und so spielen sie seit Jahrtausenden stille Post mit Informationen. Natürlich hat kein Pfarrer mehr Ahnung von "Gott" als sonst jemand. Es ist, als würden wir Doktorarbeiten über Honig studieren, ohne jemals Honig zu kosten. Und weil unsere Gedankengebäude immer irgendwie ausserhalb von uns selbst sind ist die Vorstellung eines von uns getrennten Gottes entstanden der irgendwo weit draussen existiert.

Auch das alles ist eine dieser Imitationen. Religion (was in etwa soviel heisst wie Rückanbindung an uns selbst) haben wir ausgetauscht gegen die Mitgliedschaft in einem Verein. Und es gibt eigentlich keine "Heilige Schrift", es ist ein Oxymoron, weil Wörter eben nur Schatten sind auf der Ebene des Verstandes. Sprache selbst ist dualistisch, gespalten, nicht ganzheitlich! Jedes sprachliche Konzept ist definiert durch sein Gegenteil. Deshalb heißt es ganz richtig:

"Maya ist das buchstäbliche, wörtliche, aber Bewusstsein ist das Fundamentale"
Maya is the literal, Brahman is the principle, the cause
- wieder aus Wikipedia zu Maya (Q). 

Und den Gott der Religionen haben wir nach unserem Bilde erschaffen, nicht umgekehrt...

Das ist genug für heute, dieser Teil war eher ein "Zwischenteil". Es geht weiter im nächsten Teil, der von der Relativität der Gedanken handelt - sozusagen die "Relativitätstheorie des Bewusstseins"! Das ist das worum es mir ursprünglich ging, bis ich merkte dass ich etwas weiter ausholen muss :D

Wenn die Wolken der Realität/Illusion verschwinden, bleibt Wahrheit.
(When the cloud of maya dissapear, what remains is truth.)
- hinduistische Weisheit