Freitag, 19. Oktober 2012

Technologie und der "Niedergang unserer Kultur"

altes Telefon
Wer will das verwenden?
Es ist nicht leicht die Bedeutung einer Erfindung zu erkennen, und alles neue ist sowieso zuerst einmal suspekt. SMS verursachen ja bekanntlich dass die Sprache verkümmert - ein Vorwurf der so alt ist wie das Telegramm. Und überhaupt wird die Jugend von den neuen Möglichkeiten verdorben, und der Gesellschaftliche Niedergang ist vorprogrammiert. Einen herrlichen Artikel über die Art und Weise wie die Gesellschaft mit Innovationen umgeht gibt es hier: Artikel und backup.

Aus dem langen Artikel präsentiere ich die schönsten Leckerbissen. Jede Innovation muss demnach in der Gesellschaft folgende neun Stufen durchlaufen - und daran hat sich über die Jahrhunderte nichts verändert:

1. "Wozu zum Kuckuck sollte das denn gut sein?"
"what the hell is it good for?" (IBM-Ingenieur Robert Lloyd 1968 über den Mikroprozessor)
"Zwar wurden per Edict überal Wegezeiger errichtet, aber ihre Existenz war kurz, weil sie der ausgelassene Pöbel an den meisten Orten zerstörte, ... weil sie Wegezeiger für eine unnöthige Sache halten" (der Student Friedrich August Köhler, 1790, nach einer Fußreise)
Die 1667 unter Louis XIV. eingeführte Straßenbeleuchtung wurde ebenso zerstört - ein Protest der Bürger gegen den Verlust ihrer Privatsphäre. Es sei eine Maßnahme des Königs, um die Straßen unter seine Kontrolle zu bringen
Zuletzt erklärte die Deutsche Bahn, der anfängliche Vandalismus an ihren auffälligen Leihfahrrädern habe mittlerweile nachgelassen, die Einwohner hätten sich "an den Anblick der Räder gewöhnt".

2. "Wer will denn so was?"
"Das ist eine erstaunliche Erfindung, aber wer sollte jemals soetwas verwenden wollen?" (US-Präsident Rutherford B. Hayes, 1876 über das Telefon)
"Wer zum Kuckuck will denn Schauspieler reden hören?" (Filmstudiochef Harry M. Warner, 1927)
3. "Die Einzigen, die das wollen, sind zweifelhafte oder privilegierte Minderheiten." 
"Der Multimediazug wird eher einem Geisterzug gleichen, in dem sich ein paar Nintendo- und Sega-Kids geradezu verlieren, während die Masse nach wie vor 'voll auf das TV-Programm abfährt'." (Freizeitforscher Horst Opaschowski, 1994)
Schon ab den frühen neunziger Jahren wurde regelmäßig darauf hingewiesen, dass insbesondere Terroristen, Nazis sowie Pornographiehersteller und -konsumenten sich des Internets bedienten

4. "Das geht wieder vorbei"
"Das Pferd wird bleiben, aber das Auto ist nur eine Kuriosität, eine Modeerscheinung (Anwalt Horace Rackham wird von seiner Bank in der Frage beraten, ob er in die Ford Motor Company investieren soll)
"Das Kino ist nicht mehr als eine Modeerscheinung" (Charlie Chaplin, 1916)
 "Dieser ganze Radio-boom wird mit der Zeit aussterben" (Thomas Alva Edison, 1922) 
"Das Internet ist eine Mode, die vielleicht wieder vorbeigeht." (Ines Uusmann, schwedische Ministerin für Verkehr und Kommunikation, 1996)
  5. "Die Erfindung wird keine Auswirkungen haben" 
"Flugzeuge wird man als Sport verwenden, aber für den Transport von Menschen sind sie nicht brauchbar" (Flugpionier Octave Chanute 1904)
"Wir beeilen uns stark, einen magnetischen Telegraphen zwischen Maine und Texas zu konstruieren, aber Maine und Texas haben möglicherweise gar nichts Wichtiges miteinander zu besprechen" (Henry David Thoreau, 1854)
"Das Internet macht doof ... das WWW sei maßgeblich für die Infantilisierung und Idiotisierung der Öffentlichkeit verantwortlich" (Henryk M. Brode, 2007)
6. "Ok es ist sinnvoll, aber nicht gut genug!"
"Der Bogen ist eine schlichte Waffe, Feuerwaffen sind sehr kompliziert und unzuverlässig" (Colonel Sir John Smyth, 1591 vor dem englischen Privy Council, darüber dass eine Umstellung von Bogen auf Musketen nicht ratsam ist)
Und sowas von daneben geraten:
"Die Internetkosten für den einzelnen User werden weiter steigen" (Hanno Kühnert, 1997). Das Internet ist langsam und umständlich und wird immer langsamer werden. Die Geschwindigkeit im Netz wird weiter spürbar zurückgehen" (Peter Glaser, 1996)
Der Volkskundler Martin Scharfe hat in einem Buch alte Karikaturen über "Wegzeiger" gesammelt (Wegzeiger mit unleserlichen, zerbrochenen, in die falsche Richtung weisenden Armen) Die gleiche Schadenfreude äußert sich heute in den beliebten Berichten über Autofahrer, die von ihrem Navigationsgerät in die Irre geführt werden.

7. "Schwächere als ich (die Jungen) können damit nicht umgehen!"
"Die jungen, nach 1982 geborenen Menschen sind die narzisstischste Generation der jüngsten Geschichte und weit entfernt von einer sozialen Orientierung." (Psychologin Jean Twenge) Mitverantwortlich seien Websites wie MySpace und YouTube
einfach köstlich, eine Kritik am Lesen von 1844, Universallexikon der Erziehungs- und Unterrichtslehre (!):
"Man liest, nicht um sich mit Kenntnissen zu bereichern, sondern nur um zu sehen, man liest das Wahre und das Falsche prüfungslos durcheinander, und dieß lediglich mit Neugier ohne eigentliche Wißbegier. Man liest und gefällt sich in diesem behaglichen, geschäftigen Geistesmüßiggang, wie in einem träumenden Zustande. Die Zeitverschwendung, die dadurch herbeigeführt wird, ist doch nicht der einzige Nachtheil, welcher aus der Vielleserei entsteht. Es wird dadurch das Müßiggehen zur Gewohnheit und bewirkt, wie aller Müßiggang, eine Abspannung der eigenen Seelenkräfte" (das Universallexikon der Erziehungs- und Unterrichtslehre, 1844)
8. "Die gute Etikette wird verletzt!"
In der Frühzeit des Buchdrucks galt es als unfein, ein gedrucktes Buch zu verschenken; getippten Privatbriefen haftete bis in die achtziger Jahre ein Beigeschmack des Unhöflichen an
Das Herumsitzen in Cafés mit aufgeklapptem Computer wird von Gastronomen nicht gern gesehen – es vermittle ein ungeselliges Bild und schmälere die Einkünfte –, während das öffentliche Herumsitzen mit Buch oder aufgeklappter Zeitung inzwischen keinen Anstoß mehr erregt.
9.  "Unsere Denk-, Schreib- und Lesetechniken verschlechtern sich!"
Die Postkarte galt Kritikern um 1870 als Sargnagel der Briefkultur.
"Vermindern Schreibmaschinen das sprachliche Niveau in den Arbeiten von Reportern?" (Die American Newspaper Publishers' Association, 1897)
... Klagen über die "leicht verdaulichen Texthäppchen und Schaubilder" der Präsentationssoftware Powerpoint, die zu einer "Verflachung des Denkens" führen
"Und Google macht dumm" (Sachbuchautor Nicholas Carr, 2008)
Es ist wunderbar zu sehen wie sich Geschichte immer wiederholt. Das was früher verpönt war, ist später ganz normal, und neue Innovationen nehmen ihren Platz ein, bis sie in der Gesellschaft integriert sind. Den Vogel schießt für mich auf jeden Fall "die Kritik am Lesen" ab (Punkt 7). In zeiten von SMS und Twitter genießt das Lesen von längerenTexten besonders hohen Stellenwert. Aber vor Jahrhunderten, als hohe Auflagen von Druckwerken (und das Lesen generell) noch etwas Neues war, gab es natürlich auch Kritik am Lesen. Vorgefertigte Meinungen, aufgeschrieben und in hohen Stückzahl verbreitet - verhindert das nicht das eigene Denken? Fördert das prüfungslose Übernehmen von Informationen nicht "Müßiggang" und das "Schwinden unserer Seelenkräfte?" Vielleserei? Nur Zeitverschwendung!

Ich kann mich übrigens erinnern dass ich mir damals nicht vorstellen konnte, was eine Soundkarte am PC bringen sollte. Geräusche am PC? Wozu denn? Multimedia war damals noch unbekannt... Ich kenne auch aus meinem Umfeld die abschätzige Bemerkung: "Wikipedia, das ist doch das wo jeder was hineinschreiben darf?". Ein Vorwurf den es schon gegenüber dem nicht handgeschriebenen Buch gab.

Die schlimme Jugend

Oft richtet sich die Kritik nicht auf den Gegenstand selbst sondern eigentlich auf die Jugend. Immer schon glaubte man, mit der neuen Generation könne alles nur mehr bergab gehen. Trotzdem haben wir uns von der Steinzeit bis heute nicht schlecht entwickelt. Hier ein paar schöne Kostproben:

http://www.geistigenahrung.org/ftopic16090.html
http://grundschulmarkt.de/Jugend_heute.htm

Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein
ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine
Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen überkommene Werte.
(Altägyptischer Papyrus) 
Ich habe keine Hoffnung für die Zukunft unseres Volkes,
wenn sie von der frivolen Jugend von heute abhängig sein soll.
Denn die Jugend ist ohne Zweifel unerhört rücksichtslos und
frühreif. Als ich jünger war, lehrte man uns gutes Benehmen
und Respekt vor unseren Eltern. Aber die Jugend von heute
will alles besser wissen und ist immer mit dem Mund vorweg.
(Hesiod, um 800 v. Chr.) 
Und das selbe liest man heute andauernd in den Leserbriefen von Zeitungen, tausende Jahre später. Es ist schon sehr lustig. Diese Muster wiederholen sich, wiederholen sich und wiederholen sich. Fundstück von youtube, der Antwortende trifft es genau:
Die Jugend von heute
Wovor Menschen die meiste Angst haben, das ist Veränderung und das Unbekannte, und erst recht wenn beides zusammenkommt. Aber wenn sich ein Muster immer wieder vom alten Ägypten bis heute gebetsmühlenartig wiederholt, macht das Sinn? Schluss damit. Einfach mal durchatmen und vertrauen dass auch in Zukunft die Welt in besten Händen ist. Alles ist gut. Oder mit den berühmten Schlussworten von Adamus: All is well in all of creation.

neue Erfindungen werden verurteilt